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Mann des Jahrtausends

Von Alexander Glück

 

Unbestritten wären wir heute nicht da, wo wir sind, wenn nicht vor sechshundert Jahren ein geheimnisvoller Mann zur Welt gekommen und als bedeutender Erfinder in ihre Geschichte eingegangen wäre. Johannes Gutenberg ist für viele zum Synonym für die Entwicklung der gelehrten Welt geworden; gleichwohl steht er auch für Digitalisierung, für Mechanisierung von Information, für marktwirtschaftliche Nutzung von Informationstechnik. Gutenberg ist keine graue Geschichtsgestalt, sondern ein historisches Alter ego zu Bill Gates (oder umgekehrt), mit dem einen Unterschied nur, daß dieser steinreich, jener jedoch bettelarm geworden ist. Vielleicht ist der Vergleich auch nur eine Werbeidee. Die Ablösung des Buches und die grundlegende Veränderung unserer Bildungsstrukturen infolge neuer Medien bleibt ja einstweilen noch aus. Dennoch: Der Kontext bleibt.

Zeitgleich mit einer deutschen Ausgabe der bewährten McLuhan-Biographie Philip Marchands kam im letzten Jahr zum sechshundertsten Geburtstag Gutenbergs ein neues Buch auf den Markt. Viel ist über den Mann wirklich nicht bekannt; die wenigen Eckdaten seines Lebens überliefern sich in einer Handvoll Dokumenten, hauptsächlich Abschriften (siehe Kasten). Man kennt das Geburtsjahr Gutenbergs nicht. Das Datum der Feierlichkeiten ist vertretbar, steht aber in direktem Zusammenhang mit dem Ende des Jahrtausends, mit der Internet-Revolution, mit den neuen digitalen Künsten. Es lag also nahe, das Werk mit "Gutenberg und seine Wirkung" zu betiteln. Es sei daran erinnert: Die bisherigen Standardwerke heißen überwiegend "Johannes Gutenberg", der wohl inhaltsreichste Band trägt den vorsichtigen Titel "Der gegenwärtige Stand der Gutenberg-Forschung" und hat bald drei Jahrzehnte hinter sich. Die Passion, mit einer weiteren Gutenberg-Monographie aufzutreten — die dem Leiter des Mainzer Instituts für Buchwissenschaft keineswegs vergönnt werden soll — reicht heutzutage nicht mehr; ein großangelegter Ausblick sollte schon sein. Die Erwartungen waren demzufolge hoch und wurden auch — zumindest was die Bebilderung und Verarbeitung des Werks betrifft — erfüllt. Stephan Füssel, Inhaber des Gutenbergs-Lehrstuhls der Gutenberg-Universität Mainz und Verfasser des Buchs, versteht als "Wirkung" offenbar nur, daß die Erfindung des Buchdrucks immer weitere gedruckte Bücher nach sich gezogen hat, bis schließlich "die Elektronisierung der Informationsverarbeitung" das Heft an sich riß.

Das Buch faßt also schon wieder zusammen, was es Spärliches über Gutenbergs Leben und Werk zu erfahren gibt, welche Bibeldrucke den Anfang machten, wie sich die Buchdruckerkunst rasch über den Kontinent verbreitete, wie Humanismus und Reformation ohne den Buchdruck nicht zu denken wären und wie auch der Buchdruck nur vor diesem Hintergrund hat erfunden werden können. Die jüngste Gutenberg-Veröffentlichung legt Zeugnis davon ab, daß die historischen Wissenschaften allmählich wieder in die Zeiten des Kompilierens zurückwandern. Gerade die oftgebrauchte Formulierung vom "Aufbruch in der Geschichte der menschlichen Kommunikation" ist schon die kühnste These im ganzen Text.

Eben weil die Daten in Gutenbergs Leben so dünn gesät sind, konzentrierte man sich bei der Erforschung seiner Wirkung weit mehr auf die überlieferten Resultate, also vor allem auf die Zweiundvierzigzeilige Bibel, die Ablaßformulare und andere Druckwerke. Da kam man zu atemberaubenden, gleichwenig beweisbaren wie zu widerlegenden Überlegungen, allesamt sehr spannend, sehr denkbar, aber doch nicht mit endgültiger Sicherheit zu bewerten. Eine dieser Hypothesen setzt sich mit dem Buchschmuck bei Gutenberg auseinander. Es fanden sich nämlich gedruckte Spielkarten aus der Zeit um 1450, die nicht von einer einzelnen Druckplatte, sondern von vielen kleinen Bildstempeln abgedruckt wurden, was völlig unzweckmäßig und sonst nicht vorgekommen ist. Aufgrund der Tatsache, daß etliche dieser Spielkartenmotive in bestimmten Bibeldrucken enthalten sind, formulierte man die Annahme, der Kupferstecher habe in Gutenbergs Diensten gestanden sein können, um für ihn an einem Modulsystem zum Seitenschmuck zu arbeiten. Da die Druckprojekte Gutenbergs durch die Auseinandersetzung mit Fust und Schöffer zunächst ein Ende fanden und auch die Erträge aus der Erfindung nicht üppig sein konnten, müßte sich der unbekannte Kupferstecher entschlossen haben, die angefertigten Stempel anderweitig zu verwerten, also in Form von Spielkarten. Andere Überlegungen bringen Gutenberg mit Nikolaus von Kues in Verbindung. Der Philosoph soll am Rande eines Reichstages Gutenberg getroffen und ihm von seiner Asienfahrt berichtet haben — möglicherweise auch von der Druckkunst Chinas. Daneben gibt es bestimmte Konkurrenzen der Erfinderehre. Ein Prokop Waldfoghel wird da genannt und noch andere, die den Buchdruck möglicherweise auch erfunden haben.

Gutenberg gibt also nicht nur viele Rätsel auf, sondern er lädt zu Spekulationen ein. Die Berufenen und andere haben diese Gelegenheit immer dankbar aufgegriffen; indessen ist das, was mit Sicherheit gesagt werden kann, immer noch sehr wenig. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gutenberg ging allmählich vom Spekulieren weg und wandte sich der Analyse von Fakten zu. Es ist kein Geheimnis, daß schon vor Gutenberg gedruckt wurde, nämlich von Holzblöcken, Modeln und Druckplatten. Die Erfindung Gutenbergs liegt nicht in der Idee des Stempelns, sondern im System: Er nahm Dinge, die ihm bekannt waren. Als Kind einer Weingegend kannte er Pressen. Mit der Metallberabeitung setzte er sich auseinander, als er Heilsspiegel anfertigte, außerdem hatte er das "Steineschleifen" erlernt (Steine nannte man zu dieser Zeit auch und gerade die Metalle) — somit konnte er mit Legierungen für den Typenguß experimentieren. Und auch das Bearbeiten der Typenformen war für ihn nicht völliges Neuland. Die Erfindung kann ausschließlich in der sinnvollen Kombination von Typenguß und Hochdruck sowie in der Verfeinerung des Systems gesehen werden. Nicht mehr und nicht weniger ist das Werk des Meisters.

Grundgedanke der Erfindung Gutenbergs war die Zerlegung des Textes in alle Einzelelemente wie Klein- und Großbuchstaben, Satzzeichen, Ligaturen und Abkürzungen, wie sie aus der Tradition der mittelalterlichen Schreiber allgemein üblich waren. Diese Einzelelemente wurden als seitenverkehrte Lettern in beliebiger Anzahl gegossen, schließlich zu Wörtern, Zeilen und Seiten zusammengefügt. Urform oder Prototyp für jeden Buchstaben war der Stempel. In die Stirnseite eines Stahlstifts wurde das Zeichen geschnitten, so daß sich ein seitenverkehrtes präzises Relief ergab. Nun wurde der jeweilige Stempel, die Patrize, in einen rechteckigen Block aus weicherem Metall, in der Regel wohl Kupfer, "abgeschlagen", d. h. senkrecht mit dem Schlag eines Hammers eingetieft. Die so erzeugte Matrize mußte nachbearbeitet und begradigt werden, so daß ein Kubus mit geraden Seiten entstand. Das seitenrichtige Bild sollte eine einheitliche Tiefe haben, weshalb die Oberfläche mit einer Feile bearbeitet wurde. Um den Guß einer Letter zu bewerkstelligen, entwickelte Gutenberg das Handgießinstrument. Zwei Teile umschließen einen rechteckigen Gießkanal, dessen eines Ende durch Einsetzen der Matrize verschlossen wurde. Nach dem Guß der Lettern im Handgießinstrument mußte der Angußzapfen entfernt werden.

Jede Letter hatte eine "Sollbruchstelle", so daß alle Lettern automatisch die gleiche Höhe erhielten. Das Handgießinstrument, der bedeutendste Teil der Erfindung, ermöglichte es, im schnellen Wechsel die jeweils benötigten Mengen an unterschiedlichsten Lettern zu gießen. Das Gußmetall war eine Legierung aus Blei, Zinn und weiteren Beimischungen, die ein schnelles Erkalten und eine ausreichende Dauerhaftigkeit unter dem hohen Druck der Presse gewährleistete. Die Druckerpresse, die gegenüber dem bis dahin bekannten Reiberdruck eine enorme Beschleunigung des Druckvorgangs bewirkte, war eine Spindelpresse mit spezieller Ausrüstung für die effektive und gleichmäßige Übertragung des Druckbildes von der Form auf das Papier oder auch das Pergament.

Oft wurde Gutenberg zum ersten Typographen erhoben, zum Visionär mit ästhetischen Motiven, zum Vordenker der Druckgraphik. Aber die Untersuchung der Erzeugnisse liefert ein anderes Bild. Da ist Peter Schöffer, Sozius des Erfinders und vordem begabter Kalligraph in Paris — ein Schönschreiber mit Herzblut. Gutenbergs Druckerzeugnisse zeichneten sich zu genau der Zeit durch besondere Schönheit aus, als Schöffer mit in der Werkstatt war. Nach der Trennung werden Gutenbergs Drucke gewöhnlich, während die besseren aus einer anderen Offizin kommen: aus der von Johann Fust und Peter Schöffer. Dort schaffte man es sogar, ein neues Verfahren zu entwickeln, um kunstvolle Initialen nicht malen zu müssen, sondern gleich mitdrucken zu können. Dieses Verfahren unterstützt übrigens wiederum die Spielkartentheorie.

Die Frage bleibt, ob jemand, der eine wertvolle und überaus folgenreiche Initialzündung bewirkt hat, wirklich zum Genie gekürt werden muß. Was wir über Gutenberg wissen, ist wenig. Das Vakuum mit Zuschreibungen zu füllen, die nicht haltbar sind, ist unangebracht. Dennoch wird mit vollem Recht in diesem Jahr Gutenbergs sechshundertster Geburtstag begangen. Wie bereits in den Jahrhunderten zuvor (denen wir eine Vielzahl von Standbildern verdanken) sind die Feierlichkeiten großartig. Die Stadt Mainz ist unbestrittener Mittelpunkt der weltweiten Feiern. Der umfangreiche Veranstaltungskalender im Zusammenhang mit Gutenbergs sechshundertstem Geburtstag ist über Internet unter der Adresse www.gutenberg.de abrufbar und wird ständig aktualisiert. In Mainz erscheint auch eine interaktive CD-ROM, die es ermöglichen soll, sich Gutenberg multimedial zu nähern. Verlegt wird der Datenträger vom Verlagshaus Harald Schmidt, das bereits mehrfach mit wichtigen Publikationen auf dem Gebiet des Druckwesens in Erscheinung getreten ist. Sechshundert Jahre Gutenberg gibt durchaus viel Stoff für so manche neue Veröffentlichung, aber im Grunde handelt es sich dabei um die Fortschreibung dessen, was bereits bekannt ist.

Zeittafel

um 1400 Johannes Gensfleisch wird in Mainz im Hof zum Gutenberg geboren.

um 1419 Gutenbergs Vater, Friele Gensfleisch, stirbt in Mainz.

1419/20 Die Erfurter Universitätsmatrikel verzeichnet einen Johannes de Altavilla, bei dem es sich um Johannes Gutenberg handeln könnte.

1433 Gutenbergs Mutter, Else Wirich, stirbt in Mainz; ihr Nachlaß wird unter die drei Kinder Friele, Else und Henne (Johannes) Gensfleisch aufgeteilt.

1434—1434 Aufenthalt in Straßburg.

1436/37 Gutenberg wird von der Straßburger Bürgerstochter Ennelin von der Iserin Thüre wegen eines nichteingehaltenen Eheversprechens angeklagt.

1439 Gutenberg muß sich vor dem Straßburger Rat verantworten. Die Protokolle des Verfahrens berichten über eine Lehr- und Werkgemeinschaft Gutenbergs zur Herstellung von Wallfahrtsspiegeln für die große Aachener Wallfahrt, erwähnen aber auch eine zweite Geschäftsgesellschaft sowie eine geheime Kunst Gutenbergs, welche die Teilhaber streng zu wahren hatten.

1448 Gutenberg in Mainz

vor 1450 Gutenberg druckt ein Gedicht vom Weltgericht in deutscher Sprache nach einem um 1360 in Thüringen verfaßten Sibyllenbuch.

1450—1452 Der Mainzer Advokat Johannes Fust leiht Gutenberg zunächst eine Summe von 800 Gulden für den Aufbau einer Druckerwerkstatt. Später beteiligt sich Fust mit einer weiteren Zahlung von 800 Gulden als Teilhaber an dem gemeinschaftlichen Unternehmen, dem Werk der Bücher.

1452—1454 Druck der 42-zeiligen Bibel in lateinischer Sprache in ca. 180 Stück, davon ca. 30 auf Pergament. Erste Exemplare werden in Form von ungebunden gedruckten Faszikeln im Herbst 1454 während des Frankfurter Reichsstages von einem wundersamen Mann (vir mirabilis) zum Verkauf angeboten.

1454/55 In der Werkstatt Gutenbergs werden die zyprischen Ablaßbriefe gedruckt, deren Erlös Papst Calixt III. zur Finanzierung eines Kreuzzuges gegen die Türken auf Zypern verwenden möchte.

1455 Über den von Fust gegen Gutenberg wegen der ausbleibenden Zins- und Geldrückzahlungen angestrengten Prozeß informiert das Helmaspergersche Notariatsinstrument.

1457 In der Druckerwerkstatt Fust-Schöffer wird der Mainzer Psalter als erstes Beispiel eines Dreifarbendrucks vollendet.

Die Musiksequenz wird mit Erlaubnis der Classical Piano Midi Page verwendet. Das Urheberrecht liegt bei Bernd Krüger.

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