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Zweihundert Jahre Papiermaschine

Von Alexander Glück

 

Langsam läuft das milchige Wasser durch das über den Schöpfrahmen gespannte Sieb. Der junge Mann hält sein Werkzeug völlig waagerecht und wartet, bis auf dem feinen Drahtgitter nur noch eine nasse Schicht dessen liegt, was in der Maische schwamm. Er gibt den Schöpfrahmen seinem Kollegen, dem Gautscher, der ihn auf einem Filzlappen vorsichtig abrollt. Der dritte Geselle in der Werkstatt ist gerade damit beschäftigt, die Blätter des vorigen Preßdurchgangs von den Filzen zu lösen. Nun ruft man ihm zu, der Pauscht sei voll. Der Pauscht besteht aus 182 Filzen und dazwischen 181 Blättern frischgeschöpften Büttenpapiers. Der Leger richtet die schwere Spindelpresse, legt den Pauscht mit Hilfe des Gautschers hinein und preßt ab. Aus dem Filzklotz strömt literweise das Wasser. Ein neuer Durchgang beginnt: Der Schöpfer nimmt den Platz des Legers ein, der Leger wird Gautscher, der Gautscher stellt sich an die Bütte und beginnt zu schöpfen. Es ist früher Nachmittag, die drei Papiermacher haben noch viele Stunden in ihrer Werkstatt vor sich.

Arbeitsalltag in einer Papiermühle, irgendwo in Europa, irgendwann zwischen Mittelalter und Industrialisierung. Ein Arbeitsalltag der Monotonie, in der das Abwechseln an den drei Arbeitsplätzen schon Erleichterung war. Aber auch ein Arbeitsalltag der derben Späße, der rustikalen Schwänke, der sonderbaren Handwerksgebräuche. Wie bei den anderen Zünften auch, wurden neue Kollegen auf unvergeßliche Weise aufgenommen. Nicht nur die Buchdrucker "tauften" neue Gesellen im Wassertrog oder rollten sie mit dem Rücken über Kanthölzer — wer das mitgemacht hat, gehört dazu und identifiziert sich. Was in einem einzelnen Blatt handgeschöpften Büttenpapiers für Arbeit, für Sorgfalt und für Profession steckt, wird leicht übersehen, wenn man ein Buch aus dem Barock durchblättert, denn gegenüber dem sorgsam gedruckten Inhalt nimmt sich das Trägermaterial gemeinhin zurück. Das Trägermaterial: Ein seltsames, empfindliches und doch so stabiles Material, das den Menschen in seiner ganzen Kulturentwicklung begleitet hat — verschwiegen einerseits und andererseits geschwätzig, immer jedoch geduldig. Sechshundert Jahre lang wurde in Europa Papier handwerklich hergestellt, wie es die Spanier um 1150 von den Arabern gelernt hatten. Die Araber hatten die Kunst, Papier zu machen, vierhundert Jahre früher von den Chinesen übernommen.

Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken — durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt, notierte Friedrich Schiller. Und in der Tat tragen die bedruckten Blätter, von denen es zunächst hieß, sie seien nur eine papierne, kaum haltbare Sache, die darauf geschriebenen oder gedruckten Inhalte mit einer Dauerhaftigkeit, die noch kein anderes Medium erreicht hat. Erst mit der Erfindung des Holzschliffs und der industriellen Fertigung von Papier ab Mitte des achtzehnten Jahrhunderts verwendete man kürzere und empfindlichere Fasern sowie Alaun. Letzteres setzt im Laufe der Zeit Säuren frei, die das Fasergeflecht des Holzschliffes angreifen und somit den Papierzerfall verursachen. In mühevoller Kleinarbeit versuchen Restauratoren auf der ganzen Welt, gegen diesen Exodus von Büchern und Zeitschriften anzurennen. Gleichzeitig verwenden Behörden und Gerichte für Ihre Vorgänge säurehaltiges Umweltschutzpapier, und Zeitungsdruckpapier wird noch immer nicht säurefrei hergestellt. Lediglich bei Büchern hat sich seit den siebziger Jahren allmählich die Verwendung von säurefreien Papieren durchgesetzt. Dennoch steht der größte Teil der zwischen 1850 und 1975 hergestellten Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und Drucksachen vor dem Untergang.

Alltag in einer Papierfabrik im Jahre 1999: Der Papiermacher ist zum Maschinenführer geworden. Man kann sich diese Maschinen buchstäblich so vorstellen, daß vorne Holzstücke und verschiedene Zusatzstoffe hineinkommen und hinten eine gewaltige Papierbahn auf eine große, zwanzig bis fünfzig Tonnen schwere Rolle gewickelt wird. Diese Rollen werden automatisch verpackt und im Container verschickt. In der Druckerei angekommen, wird sie in einer anderen gewaltigen Maschine weiterverarbeitet. Doch bestehen Papierfabriken aus weit mehr als Maschinen von der Größe mehrerer Reihenhäuser. Altpapier wird angeliefert und zu gewaltigen Gebirgen aufgehäuft, Berge von Schnittholz werden verarbeitet, Aufbereitungsanlagen reinigen die Altpapierfasern von der Druckerschwärze, die dann zusammen mit den Rinden verbrannt wird. Zwischen der kleinen Papiermacherwerkstatt von früher und den modernen Fabrikanlagen von heute tut sich eine kaum zu überbrückende Kluft auf. Ganze Kleinstädte bildeten sich um die aufstrebenden Fabriken des neunzehnten Jahrhunderts, und ganze Familien standen generationenlang im Zeichen der industriellen Papiererzeugung. Bis die Anlagen von heute entstehen konnten, waren unzählige Vorbereitungen nötig. Heute ist die Papiererzeugung weit rationeller denn je, sie ist auch umweltfreundlicher als früher. Sie kann aber auch auf den Großteil der Arbeitskräfte verzichten, die früher zur Papierherstellung benötigt wurden. Heute ist Papier also billiger, aber es gibt auch mehr Arbeitslose.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Mechanisierung der Papierherstellung war die kleine hölzerne Maschine, die der französische Konstrukteur Nicolas-Louis Robert 1799, also vor genau zweihundert Jahren, erfand. Robert wurde 1761 in Paris geboren und verstarb 1826 in Vernouillet. Nach Beendigung seiner Militärdienstzeit arbeitete er als Korrektor in dem berühmten französischen Druck- und Verlagshaus Didot, das auch eine Papiermühle in Essonnes bei Paris betrieb, in der außer Papier für den eigenen Druckbedarf auch noch Banknoten und Aktenpapiere für die Behörden hergestellt wurden. Diese Papiermühle beschäftigte dreihundert Mitarbeiter. Didot Saint-Leger (1767-1829) bat Robert, die Leitung der Mühle in Essonnes zu übernehmen. Dort gab es permanent Auseinandersetzungen mit den Handpapiermachern. Die Arbeiter fühlten sich unentbehrlich und stellten, auch bedingt durch die Revolutionswirren, ständig neue Forderungen, die den Betrieb zu ruinieren drohten. Ein Teil der Papiermacher des Landes folgte dem Ruf der Revolution, so daß es zu einem Mangel an Fachkräften kam. Die ungelernten Arbeiter erzielten jedoch nur mangelhafte Ergebnisse. Für viele neue Verordnungen und Ankündigungen, gleichwohl für eine gewaltige Propagandamaschinerie, benötigte die Revolutionsregierung große Mengen an Papier. Diese Schwierigkeiten ließen vor dem Hintergrund des erfindungsreichen damaligen Zeitgeistes in Robert den Gedanken reifen, eine Maschine zur Erzeugung von Papier zu bauen, um damit den Betrieb von den unzufriedenen Arbeitern unabhängig zu machen. Die Konstruktion der Papiermaschine hängt eng mit den um wenige Jahre vorausgegangenen Erfindungen des maschinellen Spinnens und Webens zusammen — die bereits vorhandene Dampfmaschine tat ein übriges.

Die erste Papiermaschine bestand aus zwei drehbaren Walzen, über denen ein an seinen Endkanten zusammengenähtes Sieb angebracht war. Diese Form war auf beiden Seiten mit einem elastischen Band aus Aalhaut eingefaßt, die das Abfließen des Papierstoffes verhindern sollte. Die handbetriebene Maschine bestand aus nur wenigen Elementen: Ein mit vorstehenden Schöpfleisten besetzter Zylinder tauchte in eine Bütte ein und spritzte den Papierbrei auf ein schräges Leitbrett. Von hier gelangte die Papiermasse auf das rotierende Sieb; nach der Vorentwässerung auf dem Sieb wurde das Vlies zur weiteren Entwässerung durch ein Preßwalzenpaar geleitet, so daß es die nötige Festigkeit zum Abheben bekam. Eine Holzwalze nahm das Papier selbständig vom Sieb ab und wickelte es in Form einer Bahn auf. Der wesentliche Unterschied gegenüber der bisherigen Arbeitsweise des Schöpfens bestand darin, daß der Stoff auf ein endloses Sieb aufgegossen wurde und deshalb in einer "endlosen", jedenfalls meterlangen Papierbahn aufgerollt wurde. Die Bedeutung der Robertschen Erfindung liegt darin, daß die bisherigen Arbeitsgänge der Blattbildung und Entwässerung zu einem einzigen zusammengefaßt wurden, ohne daß während dieses Vorganges das entstehende Papier von Menschenhand berührt werden mußte. Versuche, das Schöpfen zu mechanisieren, wurden Ende des 18. Jahrhunderts mehrfach gemacht. So beschäftigte sich Michael Leistenschneider in Saarlouis schon 1797 mit dem Bau einer Rundsiebmaschine.

Durch die mechanische Papiermaschine wurde das Produkt Papier in seinem Aufbau verändert. Die Fasern wurden nun in Laufrichtung des Siebes ausgerichtet. Das Papier wurde gleichmäßiger und sauberer. 1805 erfand Moritz Friedrich Illig die Methode der Bütten- oder Masseleimung, wobei dem Papier nicht erst nachträglich, sondern bereits beim Ansatz der Faserflüssigkeit Harzleim zugesetzt wurde, um es tintenfest zu machen. Durch die Einführung der neuen Rohstoffe, allen voran des Holzschliffes im Jahre 1843, wurde Papier zum billigen Massenprodukt. Zuvor waren fast ausschließlich Lumpen und Hadern als Rohstoffe verwendet worden. Nun konnte die Papierfabrikation relativ gleichmäßige Erzeugnisse in großen Mengen produzieren. Die Entwicklungsgeschwindigkeit hat seit damals nicht nachgelassen. Die Maschinen wurden immer größer und schneller. Nicht nur in quantitativer Hinsicht vollzog sich eine ungeheure Entwicklung, sondern auch in qualitativer. Die Anforderungen an das Endprodukt wurden ständig gesteigert, gleichzeitig ist jedoch ein Verlust dessen zu beklagen, was man beim Papier als "Charakter" bezeichnen könnte. Industrielles Papier mag noch so gut sein, es ist immer tote Massenware. Der Reiz antiquarischer Bücher liegt zum guten Teil darin, daß in manuellen Druckverfahren handgegossene Typen in die samtige, unregelmäßige Oberfläche handgeschöpften Papiers gepreßt wurden, und das sieht man dem Endprodukt als ästhetische Qualität an.

Den Unterschied kann man im Papiermachermuseum sinnlich erleben, wenn man zur Handschöpferei kommt. Nicht nur, daß hier die Besucher selbst die Möglichkeit haben, den Schöpfrahmen in die Bütte zu tauchen und auf diese Weise die Herstellung von Papier buchstäblich zu begreifen. Sondern man erkennt, daß dies eben ein anderes, ein wertvolleres Papier ist. Insofern ist handgeschöpftes Büttenpapier ein Qualitätsartikel geblieben, während die billigen Massenqualitäten ausschließlich ein Produkt der Industrialisierung sind. Um demjenigen, der sich seine persönliche Alltagskultur besonders angelegen sein läßt, etwas bieten zu können, hat man sich im Museum eine besonders schöne Sache einfallen lassen: Dort wird nämlich das Papierschöpfen nicht nur museal vorgeführt, sondern auch betrieben. Jeder kann sich bei der kleinen Werkstatt, die von der Papierfabrik Steyrermühl AG unterhalten wird, sein persönliches Briefpapier mit eigenem Monogramm-Wasserzeichen von Hand anfertigen lassen, und zwar durchaus zu einem angemessenen Preis. Wem es darauf ankommt, Briefe und Akzidenzen auf besonders edlem Papier zu wissen, der findet hier nicht nur die Möglichkeit, handgeschöpftes Büttenpapier zu kaufen, sondern er kann praktisch jeden Wunsch vorgeben. Das reicht vom individuellen Relief-Wasserzeichen des Familienwappens bis zu besonderen Formaten, beispielsweise für Hochzeitseinladungen. Die Wiederbelebung traditioneller Handwerkskunst ist für die Steyrermühl AG freilich ein Zuschußgeschäft und wird hauptsächlich als Unternehmensreferenz betrieben. Dankenswert ist aber, daß diese Werkstatt ihre Dienste tatsächlich jedem anbietet, der besonderes sucht. Nähere Informationen erhält man bei Sandra Renn, Tel. 0043-7613/89 00 412.

Das Museum bietet in seinen großzügigen Räumlichkeiten — ehemaligen Hallen der benachbarten Papierfabrik Steyrermühl AG, die heute als Hauptsponsor fungiert — zahlreiche stillgelegte Maschinen als Originalexponate. Dazwischen sind in sehr ansprechender Gestaltung und professioneller Konzeption Photos, Kleinexponate und Modelle aufgebaut. Positiv fällt dabei ein leicht didaktischer Aspekt auf, der mit Schautafeln auch einiges an Fachwissen vermittelt, ohne lehrmeisterlich zu wirken. Die ansprechende Art, wie die alten Fabrikationsanlagen durch farbiges Licht in Szene gesetzt werden, verdient ebenfalls Erwähnung. Was im Original nicht herbeizuschaffen war, wird auf Reproduktionen, Abbildungen und Tafeln gezeigt. Instrumente und Meßgeräte aus verschiedenen Zeiten runden den Objektbestand ab. Auffallend ist, daß in diesen Hallen noch so etwas wie der Geist der Fabrik weht: Es handelt sich nicht um ein steriles Museum, sondern um einen interessanten und spannenden Bogen über die Entwicklung der Papiermacherei, den man direkt vor Ort erlebt. Die aufwendige Rekonstruktion alter Geräte und Werkzeuge, mit der Lücken im Objektbestand sehr überzeugend geschlossen wurden, verrät etwas von dem Aufwand und der Mühe, mit denen das erste Papiermachermuseum Österreichs geschaffen wurde.

1992 hatte der Bürgermeister und Nationalratsabgeordnete Karl Neuwirth die Idee, im Gemeindegebiet von Laakirchen ein Museum mit dem Schwerpunkt Papier einzurichten. Unterstützt in seinem Vorhaben wurde Herr Neuwirth vom Vorstand der Steyrermühl AG, der dem geplanten Museum die stillgelegten Werkshallen kostenlos zur Verfügung stellte. Finanziell wurde das Projekt von der Marktgemeinde Laakirchen, dem Tourismusverband Laakirchen, von der oberösterreichischen Landesregierung sowie vom Bundesministerium für Unterricht und Kultur, jedoch auch von etlichen privaten Sponsoren unterstützt. 1993 wurde der Verein "Österreichisches Papiermachermuseum" gegründet. Dr. Wolfgang Stecher von der Papiermacherschule in Steyrermühl gelang es aufgrund seiner Verbindungen zur Papierindustrie, im In- und Ausland wertvolle und wichtige Exponate für das Papiermachermuseum zu organisieren. Die Papiermacherschule stellte eine funktionstüchtige Versuchspapiermaschine zur Verfügung, die jeden 1. Donnerstag im Monat in Betrieb ist. Dabei handelt es sich um eine maßstabsgetreue Anlage, die zwar genauso funktioniert wie eine große Papiermaschine, vor den Augen der staunenden Besucher jedoch etwas produziert, was einer Küchenrolle ähnelt. Am 1. August 1994 wurde mit acht Langzeitarbeitslosen und zwei Schlüsselkräften (Poliere) begonnen, die alten Werkshallen der Papierfabrik zu adaptieren. Das Österreichische Papiermachermuseum Laakirchen-Steyrermühl wurde schließlich im Jahre 1997 eröffnet. Im April 1999 kann noch die Integration eines Feuerwehrmuseums hinzu. Im Jahr 2000 wird voraussichtlich ein Druckereimuseum eröffnet werden. Vom Land Oberösterreich und der Firma Wimmer Medien GmbH & Co. KG werden dafür zahlreiche Exponate als Leihgaben zur Verfügung gestellt.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Museum noch um einen echten Geheimtip am Rande des Salzkammergutes. Wer sich für Druck und Papier interessiert, kann leicht von Salzburg oder Linz aus einen Ausflug nach Steyrermühl unternehmen. Besonders in Hinblick auf die zahlreichen Bezüge zum papiernen Endprodukt ist dieses Museum eine gute Adresse für Bücherfreunde, Antiquare, Sammler oder anderweitig an Papier Interessierte. Das Museum kann von Mittwoch bis Sonntag jeweils von 10.00 bis 17.00 Uhr oder nach Voranmeldung besichtigt werden: Österreichisches Papiermacher-Museum, Museumsplatz l, A-4662 Steyrermühl. Tel.00 43 7613/3951. Fax: 00 43 7613/8834.

Die Musiksequenz wird mit Erlaubnis der Classical Piano Midi Page verwendet. Das Urheberrecht liegt bei Bernd Krüger.

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