Vom Wunsch der Bilder nach Ausdruckskraft

Von Alexander Glück

 

Bilder von Australien, Bilder wie Erinnerungen. Die üppigen Wolken hängen tief über dem Land, die grenzenlose Weite verliert sich im Dunst der Ferne, aus dem einige Berge emporragen. Bilder, wie sie die Entdeckungsreisenden sahen, als sie sich auf den Weg machten, diesen Kontinent zu erforschen. Kein Laut ist zu hören, die Landschaft ruht in der Sommerwärme, während die Wolken lautlos von sachtem Wind getrieben werden.

Seit den Anfängen der Photographie nehmen besonders enthusiastische Anhänger die Rezepte großer Meister wie Dogmen auf. Es geht um Belichtungsunterschiede von Zehntelsekunden, um das richtige Papier, um die Einweihung in das Zonensystem und um ein Arsenal verschiedener Brennweiten, derer jede für diesen oder jenen Zweck optimal sein soll. Es geht um den Wunsch, selbst zur Meisterschaft zu kommen, indem man sich möglichst viele Scheiben von der Technik berühmter Künstler abschneidet. Nicht wenige von denen, die sich diese technischen Künste fleißig angeeignet haben, waren ratlos, als ihnen dann das geeignete Motiv fehlte oder sie im richtigen Moment erst das Objektiv wechseln mußten und so den entscheidenden Augenblick verpaßt haben.

Ebensolange gibt es Menschen, die von allen Regeln nichts wissen wollen und selbst herumprobieren. Sie stellen zwar die große Menge der Urlaubsknipser, die es möglichst bequem haben wollen und bei den Ergebnissen anspruchslos sind. Zugleich verdankt die Lichtbildkunst denen, die eigene Wege gehen, praktisch sämtliche gestalterische Innovationen. Die Veränderung der Bildsprache wäre unter Dogmatikern entweder gar nicht oder ausgesprochen langsam abgelaufen.

Nur hier kann eine geheimnisvolle Kraft walten, die den Bildern Ausdruck gibt, jedoch gleichermaßen unwiederholbar wie unkontrollierbar ist. Man hat nämlich den Eindruck, daß die Motive in manchen Fällen selbst zu dem ihnen adäquaten Ausdruck finden, wenn man ihnen nur die Möglichkeit dazu gibt. Man kann die Ergebnisse als zufällig bezeichnen, wenn auch jedes Bild das Ergebnis realer Gegebenheiten und Vorgänge ist. Nur weil sie sich unserer bewußten Steuerung entziehen, bezeichnen wir sie als Zufälle. Wüßten wir um ihre Entstehung, wären es technische Innovationen. Hinzu kommt, was Michel Frizot formulierte: Die Deutung oder Lektüre einer Farbphotographie vollzieht sich innerhalb und außerhalb des Blickfeldes, genauso wie die eines Schwarzweißphotos, wobei das Imaginäre der Farbe und die ihr innewohnende Unbestimmtheit hinzukommen.

Die Abbildungen wurden von dem deutschen Touristen Ralf Gutermann während einer Australienreise aufgenommen. Gerade weil sie nicht die kleinsten Details wiedergeben, tauchen sie die weite Landschaft in eine malerische Weichheit, die besonders bei den eindrucksvollen Wolken wie die von Gemälden wirkt. Der Vergleich dieser Bilder mit Aquarellen drängt sich geradezu auf, und tatsächlich wurde ihre Entstehung maßgeblich von Wasser beeinflußt. Die Bilder strahlen eine starke Stimmung aus, ohne daß dies technisch forciert wurde. Vieles mag zur Ausdruckskraft dieser Aufnahmen beigetragen haben. Röntgenkontrolle vor dem Flug, eine beträchtliche Zeit im Flugzeug unter dem Einfluß kosmischer Strahlungen, die hohe Temperatur in diesen Tagen: Diese Faktoren wirkten schon vor der Aufnahme auf den Film, der dann in einer der einst so modernen Pocketkameras mit kleinem Negativformat und schwacher Optik belichtet wurde und deshalb die Landschaft so abbildet, als sei sie mit dem Pinsel gemalt. Die Frau vom Photolabor meinte später, vor der Entwicklung sei der Film irgendwie naßgeworden, wodurch die rosa Farbschleier entstanden sein dürften, die gekonnt auf den Himmel beschränkt sind.

Geht man in der Geschichte der Photographie bis zu der Zeit zurück, als die ersten Farbverfahren entwickelt wurden, so sieht man, daß auch damals die Möglichkeiten zur Steuerung sehr gering waren. Intensität und Naturtreue der Farbtöne, die Schärfe, der Kontrast und die Helligkeit fielen auf dem fertigen Abzug fast immer wie ein Zufallsprodukt aus. Erst nach vielen Versuchen kam ein Bild zustande, das den Vorstellungen seines Urhebers entsprach. Und gerade diese unwiederholbaren Bilder, die aus sich heraus zu einer adäquaten Sprache gefunden haben, gehören heute zu den teuersten Zeugnissen der Photographie und ihrer Entwicklung. Aufschlußreich ist etwa ein Vergleich dieser Bilder mit frühen Autochrome-Platten — solchen vor allem, die für Zeitschriften reproduziert wurden, wodurch es zu deutlichen Qualitätsveränderungen kam. Werke von Jacques-Henri Lartugue, Auguste Léon oder Heinrich Kühn, in den Jahren um 1910 geschaffen, zeigen eine ganz ähnliche Weichheit und Milde wie die unwirklich-märchenhaften Landschaftsbilder von Australien.

Frizot: Eine Farbphotographie gilt als die Entsprechung dessen, was im Moment der Aufnahme gegenwärtig war, selbst wenn man zugibt, daß diese farbige Realität oft erst aus vielen Teilen für die Aufnahme zusammengesetzt worden ist. So kann es dazu kommen, daß verschiedene Unwägbarkeiten Bilder schaffen, die wir als schön empfinden und an denen wir unsere Erinnerungen justieren.

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