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Tanzen, bis die Schwarte kracht!

Von Alexander Glück

 

Hier gibt es Bilder aus den Sofiensälen

Wollen Sie sich einmal wirklich dem rauhen Nachtleben einer Großstadt ausliefern? Dann gehen Sie auf ein Clubbing — Sie werden staunen. Möglicherweise vergeht Ihnen Hören und Sehen oder die Lust am Tanzen. Vielleicht finden Sie sich jedoch auch ganz in Ihrem Element und machen mit. Falls Sie jedoch nicht zum Besuch solcher Veranstaltungen zu bewegen sind, lassen Sie es sich gesagt sein: Sie versäumen etwas! Und obendrein sind Sie mega-out!

All diejenigen aber, die mega-in sind oder es sein wollen, treffen sich an bestimmten Terminen, die gutinformierten Postillen wie City oder Falter entnommen werden, um gemeinsam zu clubben. Geclubbt wird auf Clubbings, und ein Clubbing ist eine Art nächtlicher Disco-Spuk, aber natürlich nicht einfach nur eine Disco. Was in den siebziger Jahren unter dieser Bezeichnung veranstaltet wurde, reicht den jungen Wilden der Gegenwart noch lange nicht. Ein richtiges, echtes Clubbing hat seine eigenen Maßstäbe.

Wobei die Übersetzung des Begriffs reine Deutungssache ist. Man kann es mit "Vereinstagung" versuchen, aber auch mit "Geknüppel". To be in the club heißt gar soviel wie "schwanger sein", und vielleicht leitet sich der Begriff ja auch davon ab. Denn es geht heiß zu im nächtlichen Großstadtdschungel. Dafür sorgen junge Damen und Herren, die von den Veranstaltern der Clubbings engagiert werden, um auf Podesten öffentlich herumzutanzen. Go-gos heißen diese Leute, und ihre Berufsbezeichnung leitet sich von go! ab, das man hierorts mit "gemma!" übersetzen kann. Die Verdopplung go-go bedeutet soviel wie "lebhaft, begeisternd, flott", die Go-gos sind also begeisternde Vortänzer, die auf den Veranstaltungen für ordentliche Stimmung sorgen sollen. Diese Aufgabe bewältigen Sie in der Regel unter allmählicher Entledigung ihrer Bekleidung.

Unter dem Geflacker bunter Scheinwerfer bewegt sich die anonyme Masse der Clubbing-Besucher zur Begleitung rhythmischer Perkussionen in den großen, denkmalgeschützten Sophiensaal hinein. Zu Beginn der Veranstaltung durfte man in diesen Bereich noch nicht eintreten, weil die Kulissen des Cabaret-Musicals erst noch abgebaut werden mußten. Nun aber ist der Raum in die besondere Atmosphäre der Techno-Idylle getaucht, und die Besucher wollen das. Das Gehämmer des Schlagzeugs zerreißt jeden Dialog in wirre Wortfetzen, und hektische Lichtsalven machen aus einer harmlosen Bewegung eine zerhackte Folge von Zuckungen. Zur Auflockerung der Stimmung wird gelegentlich die Nebelmaschine angeworfen, und mit verschiedenen Farbkombinationen beweisen die Mitarbeiter beleuchtungstechnische Kreativität. Die Basisstimmung ist somit geschaffen, die Besucher fühlen sich wohl. Zwei Stunden vergehen wie im Fluge. Wer es zwischendurch nicht mehr ausgehalten hat oder einfach ein Wort mit seinen Freunden wechseln wollte, ist in einen der weitläufigen Flure ausgewichen, welche die Sophiensäle miteinander verbinden. Vielleicht geriet er dabei in den Blauen Salon, in dem ein großer Getränketresen aufgebaut worden war, neben dem es Styropor schneit. Pulsierendes Rotlicht und eine gewaltige Projektionswand mit verschneiten Landschaften lassen seltsame Gefühle aufkommen. Die Gänge sind in tiefrotes Licht getaucht.

Nach einer Weile ist die Stimmung im großen Saal immerhin am Sieden, denn nun haben die ersten Vortänzerinnen ihren Dienst aufgenommen, für dessen nächtliche anderthalb Stunden sie zwischen 1500,– und 2500,– erhalten. Neben dem Seiteneingang des Saales befindet sich ein Podest, auf dem eine junge Frau im Korsett wilde Bewegungen vollführt und diese zuweilen durch gymnastische Übungen unterbricht. Ihr Tun soll die Musik illustrieren, letztlich gibt sie der Musik einen Sinn. Oder es ist der wechselseitige Versuch von Musik und Tanz, dem jeweiligen Gegenstück eine Daseinsberechtigung zu verschaffen, weitab von allen Qualitätskriterien — denn die Musik ohne Go-go wäre fast genauso uninteressant wie ein Go-go ohne diese Art von Musik. Dazu paßt es auch, daß Mademoiselle mitten im Winter so etwas wie Hasenohren als Kopfschmuck trägt: vielleicht ein Vorgeschmack auf’s nächste Osterclubbing. Sie wird sich in Kürze von einem Kollegen ablösen lassen, um nach einiger Zeit auf ihr Podest zurückzukehren — ohne Korsett. Wie sich das, was die Besucher zu sehen bekommen, während einer Nacht also enorm steigert, so steigern sich auch Musik und Licht: Wer lange durchhält, findet sich gegen vier Uhr früh in einer seltsamen Landschaft wieder, die in weißes Licht getaucht ist und mit auf- und abschwellenden Sägegeräuschen beschallt wird. Um sich her sieht er Wesen, die zu dem rhythmischen Brummtönen Bewegungen machen, als kämen sie vom Mars — und die ganze Gesellschaft ist den mittlerweile fast nackten und schweißgebadeten Vortänzern unterworfen. Sie peitschen das Volk an, und es wiegt sich dankbar im bizarren Takt.

Inzwischen vergnügt sich etwas abseits eine Gegenkultur, und zwar zu ganz andersartiger Musik. Da hat man in einem kleineren Saal im Keller bunte Lampen angebracht, und was auf den Plattentellern rotiert, ist wohlbekannt: Hier wird zu "Aber bitte mit Sahne" von Udo Jürgens gegroovt wie auf einer irren Fete in der Muppets-Show. Nach Udo kommt "Ma Baker" von Boney M., danach die obszöne Neubearbeitung des Smokie-Klassikers "Livin’ next door to Alice", anschließend Baccara und dann schon wieder Udo Jürgens, der sich in der wogenden Masse als ausgesprochen tanzbar erweist. Udo Jürgens — die Wunderwaffe für jede Feier, auf der die Stimmung noch weiter steigen soll. Das Rhythmuspaket der Neunziger. Das musikalische Ecstasy für alle, die ihre Zuneigung durch den richtigen Plattenwunsch ausdrücken wollen. "Griechischer Wein… ist so wie das Blut der Erde…"

Keineswegs ist es so, daß die Clubbings lediglich aus Licht, Klang und Animateuren bestehen. Dahinter steht immer auch ein ausgetüfteltes Konzept, beispielsweise der Titel "The Ibiza nights — Auf Ibiza hat Gott nichts verboten" zusammen mit lockenden Photos auf einem Prospekt. Ein anderes Konzept sieht Nackte in Sesselliften vor, die gleichzeitig noch Werbung für ein Schigebiet machen, während dirndltragende Mädchen Styroporschnee von einem künstlichen Balkon aus dem Bettzeug herabrieseln lassen. Oder noch eines: Der Tempel, in dem den Tempeltänzerinnen gehuldigt wird. Oder ein Clubbing in geschichtsreichen Mauern: Veranstaltungsort Naturhistorisches Museum — der Tanz zwischen den Dinosauriern. Freilich ist auch nicht jeder zum Go-go geeignet. In einem ausführlichen Grundlagenbericht hat nun eine bekannte Monatszeitschrift die Stimmungsanheizer gewürdigt und einige namentlich genannt, die als "die besten" bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um eine achtzehnjährige Kellnerin, von der es heißt: "Das Go-go aus dem Bilderbuch. Frei von allen Tabus und immer bereit zum One-morning-Stand nach der durchgetanzten Nacht. Sie nimmt Sex wie Kaffee, und ihre Feindinnen behaupten, sie habe selbst vor den Männern ihrer Freundinnen nicht Halt gemacht." Weiters werden vorgestellt: Eine Zahnarztsekretärin von einundzwanzig Jahren, eine gleichaltrige Sängerin, eine etwas jüngere Reisebüroassistentin und eine etwas ältere Spitalslaborantin ("Will mich einer berühren, steig ich ihm auf die Hand"), ferner eine dreiundzwanzigjährige Graphikdesignerin namens Müller. Sie haben als Clubbing-Besucher begonnen und wurden dann entdeckt, und heute zahlen sie keinen Eintritt mehr, sondern bekommen sogar noch ein Honorar — obwohl sie nichts anderes machen als zuvor.

Und die Räume sehen bei Tageslicht ebenfalls völlig harmlos aus. Das Gebäude in der Marxergasse 17, das den Namen "Sophiensäle" trägt, hat sichtlich schon bessere Zeiten erlebt. Die Räume sind dem Verfall ausgesetzt; der Putz löst sich von den Wänden, Fetzen aus Vorhangstoff und Erinnerungen hängen von Eingängen herab, und vergilbte Hinweisschilder weisen den Weg in das Dunkel der Geschichte. Die Sophiensäle durchlaufen eine Agonie, abgesehen von der momentanen Nutzung als Austragungsort für Musicals und Clubbings sind sie zum architektonischen Ballast geworden, zum Spermüll der Ortsgeschichte, zum zweizeiligen Hinweis im Stadtführer. Doch gleichzeitig künden sie mit der stolzen Fassade, mit den festlichen Sälen und ihrer ausgreifenden Bauweise noch immer von den Zeiten, die sie miterlebt und mitgestaltet haben. Gleich dem Wrack eines versunkenen Schiffes sind auch die Sophiensäle von jener wahrhaft ästhetischen Verbindung aus Prunk und Moder gezeichnet, die uns schon bei den Titanic-Überblendungen so angruselten — und das schafft die ideale Kulisse für eindrückliche Veranstaltungen.

Die Sophiensäle gehen auf den Tuchscherergehilfen Franz Morawetz zurück. Dieser wurde 1789 in Raudnitz (Böhmen) als Sohn jüdischer Händler geboren und machte sich in der österreichischen Textilbranche dadurch einen Namen, daß er das Dekantieren des Tuchs in Österreich einführte. Ein russischer Major brachte ihn auf den Gedanken, in Wien ein russisches Dampfbad einzurichten, und 1826 zog er mit diesem Plan und dem Geld seiner Frau los, um zunächst in der Marxergasse eine Tuchschererei einzurichten. Nach einiger Zeit erblindete er infolge einer Augenkrankheit, leitete jedoch noch selbst den Bau seines Bades, das im Januar 1838 eröffnet wurde. Durch steigende Nachfrage ermutigt, ließ Morawetz 1846/47 nach Plänen von Sicardsburg und van der Nüll das Sophienbad neu errichten; es zählt zu den bedeutenderen Frühwerken der beiden Architekten. Hier fanden Konzerte und Maskenbälle statt, doch auch Versammlungen mit bis zu 2700 Personen wurden abgehalten. Johann Strauß Vater dirigierte im Januar 1848 — am Vorabend der Revolution — den Eröffnungsfestball. Die Sezession beeinflußte die spätere Fassade des Sophiensäle zur Marxergasse, aufgeführt 1899.

Im Jahre 1948 wurden die Sophiensäle umfangreich saniert und erneuert, allerdings vereinfachte man dabei auch gleich die historische Architektur. An eine Erhaltung des geschichtsreichen Gebäudes wird heute nicht mehr gedacht; das Haus schon bald einer umfangreichen Neugestaltung Platz schaffen, bei der lediglich der denkmalgeschützte große Saal erhalten werden soll. Bis dahin werden die Sophiensäle für Veranstaltungen unterschiedlicher Art genutzt, unter anderem eben für Clubbings. Die Veranstalter dieser wilden Nächte sind überwiegend Gastronomen und Diskothekenbetreiber, die durch solche Events ihren Bekanntheitsgrad und ihren Umsatz steigern wollen und sich deshalb permanent neuartige Ideen einfallen lassen. Darin liegt der Grund dafür, daß die nächtlichen Tanzveranstaltungen verschiedene Themen haben, wenn sie auch sonst immer demselben Rezept folgen. Wer allerdings geschulte Ohren hat, kann feine Unterschiede im Musikangebot feststellen, die auf den Stil des jeweiligen Djs zurückzuführen sind. Wenn man jedoch ohnehin nicht oft zu solchen Festen geht, fallen einem diese Unterschiede gar nicht auf. Es sei denn, man hört unvermittelt Udo Jürgens oder Michael Holm.

Hier gibt es Bilder aus den Sofiensälen

Die Musiksequenz wird mit Erlaubnis der Classical Piano Midi Page verwendet. Das Urheberrecht liegt bei Bernd Krüger.

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