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Wein-Buchhandlung als Kultur-Raum

Von Alexander Glück

 

Er bestellt eine Flasche Wein, setzt sich und holt jene Schrift hervor, deren Inhalt wir dem Leser nicht vorenthalten können.

Mörike: Maler Nolten

 

Wie nähert man sich dem Buch? Viele lesen in der U-Bahn, und eigenartigerweise sind sie alle gerade am Anfang des jeweiligen Buches. Möglicherweise kommt mancher davon ab, zwischen Keplerplatz und Stubentor drei Seiten Krieg und Frieden aufzunehmen. Wer zuhause liest, hat meistens etwas zu trinken geholt und es sich möglichst gemütlich gemacht. Wer in großen Buchhandlungen nach geeignetem Geistesfutter Ausschau hält, möchte sich probeweise in ein Kapitel vertiefen dürfen. Immer öfter stehen zu diesem Zweck Sitzgelegenheiten bereit; niemand argwöhnt mehr, wenn jemand wirklich zu lesen anfängt. Zuweilen sind Buchhandlungen deshalb um gastronomische Bereiche erweitert, in denen nicht nur gelesen, sondern auch gleich ein Kaffee getrunken werden kann. Bereits in den frühen achtziger Jahren machte in Wiesbaden das mittlerweile zu einiger Reputation gelangte Café Cicero mit diesem Konzept als eine der ersten Buchhandlungen Furore. Auf der anderen Seite versuchen die Restaurants, Cafés und Brauhäuser mit allerhand Erlebnisgastronomie neue Kunden zu gewinnen. Eine Buchhandlung ist eine Buchhandlung und eine Weinschenke ist eine Weinschenke. Daran ändern auch Mischformen nichts, und es gibt sie schon lange. In Lokalen gibt es Lesestoff, und die Buchhändler haben schon lange erkannt, daß ein guter Tropfen einiges zur Atmosphäre beitragen kann, in der gut Kaufen ist. Aber die Norm ist es noch keineswegs, und es wird spannend sein, die Entwicklung neuer Buchhandlungen in diese Richtung zu beobachten. Die Grenzen verschwimmen allmählich.

Buchhandlungen sind inzwischen überaus vielfältig und warten mit den unterschiedlichsten Nebenangeboten auf. Wenn eine Buchhandlung auch noch Wein ausschenkt, erfährt der Kunde die Synthese aus zweierlei geistiger Nahrung. Man darf sich ruhig fragen, welche davon die Sinne für die andere öffnet. Eine dieser Buchhandlungen ist ganz neu und in mehrfacher Hinsicht sehr bemerkenswert. Ihr Inhaber, Richard Jurst, bricht nämlich gleich mit mehreren Klischees: Er ist kein vorgealtertes, mehrfach bebrilltes Männchen, das verstaubte Bücher aus den Regalen hervorholt. Sein Antiquariat ist keine muffige, unbeleuchtete Höhle, sondern ein heller und moderner Raum. Seine Bücher sind auch nicht überaus antiquarisch im traditionellen Sinne, sondern umfassen hauptsächlich die österreichische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Hinzu kommt, daß es in diesem Antiquariat weit mehr gibt als nur Bücher: Es gibt Wein. Es gibt Lesungen. Es gibt einen Kulturverein. Es gibt interessante Menschen zu treffen. Jurst hat sich einiges vorgenommen, und manches davon kann man sich im Internet unter www.buchundwein.at ansehen. Besuchen kann man den Anti-Antiquar in der Schäffergasse 13a im vierten Wiener Gemeindebezirk. Um aber die komplexe Struktur dieses Projekts verstehen zu können, muß ein wenig ausgeholt werden.

Richard Jurst ist dreißig Jahre alt und blickt auf zehn Jahre Berufserfahrung zurück. Er erlernte den Beruf des Buchhändlers beim Antiquar Deuticke in Wien und arbeitete anschließend im Buchgeschäft: nämlich in einer Druckerei, einem Verlag, Anzeigenabteilungen in Fachzeitschriften sowie auch als Redakteur; ein Jahr verbrachte er in Israel. Doch wer den Buchbetrieb kennt, weiß auch um materielle Tatsachen — Jurst arbeitete zuerst nebenbei, dann hauptberuflich in der Gastronomie als Kellner und Plattenwerfer; seit Mai 1998 ist er mit einem eigenem Antiquariat selbständig. Etwas später gründete er den Kulturverein Schäffergasse, der als Veranstalter von Lesungen in Erscheinung tritt. Der Kulturverein hat sich generell die Aufgabe gestellt, Literatur der Öffentlichkeit nahezubringen sowie ein Diskussionsforum zu etablieren. Er bezieht seine politische Grundrichtung aus der Achtung der Menschenrechtskonvention. Der Verein wurde mit illustren Beiräten ausgestattet, um seine Integrität zu unterstreichen: Gerhard Drekonja-Kornat, Gert Jonke, Michael Kernstock, Inge Kralupper, Konrad Paul Liessmann, Robert Menasse, Heide Schmidt und Armin Thurnher zählen zu den Unterstützern. Durch die Mitgliedschaft erwirbt man freien Eintritt für alle Veranstaltungen, die in der Buchhandlung stattfinden. Allerdings will der Initiator damit keineswegs der Vereinsmeierei frönen, sondern lediglich ein ernstgemeintes Anliegen zielführend umsetzen. Das Modell eines Kulturvereins erweist sich dabei nicht nur wirtschaftlich als sinnvoll, sondern hat auch den hier durchaus wichtigen integrativen Charakter.

Mindestens zweimal im Monat werden Veranstaltungen abgehalten, in denen Themen oder Personen präsentiert werden, die dem Inhaber wichtig sind. Auch hier ein Unterschied zum Konventionellen: Der Autor kommt nicht seines Werkes wegen, sondern Jurst sucht sich kompetente Leute, die zu vorgegebenen Themen etwas beitragen können. Durch diesen anderen Ansatz ist die Zielrichtung der Veranstaltung ungewohnt und interessant. Umstellung ist auch für die Kunden nötig: Wer in dieses Antiquariat geht, soll innere Ruhe und Aufnahmefreudigkeit mitbringen — jene der Bücher, diese des Weines wegen. Neben dem Eingang hängt ein Schild, mit dem die Kunden gebeten werden, vor dem Eintritt ihr Mobiltelephon abzuschalten; die ausgeschenkten Weine werden gratis zur Verfügung gestellt und sollen das Erlebnis des Bücherstöberns abrunden — bei Gefallen kann der Wein auch bouteillenweise gekauft werden. Zur Zeit gibt es Wein aus Purbach von der Familie Nevrkla: Brunnscheibn (Grüner Veltliner), Zweigelt Weiß, Loschabruit (Zweigelt Barrique), Pas de Deux (Süßwein) und Gaudentium (Weißgipfler). Übrigens gibt es auch Alkoholfreies. Die Buchhandlung wird somit zum Erlebnisraum, den man auch aufsuchen kann, wenn man sich einfach nur entspannen will. Nicht nur die Bücher sollen Kunden anziehen, sondern die Buchhandlung selbst ist als Attraktion gedacht. Die Handelsware gerät zur Nebensache; unaufdringlich ist sie eben einfach da, und natürlich wird man beim Wein auch über Bücher reden, vielleicht dieses und jenes ansehen und dann auch kaufen. Eine relativ neue Art des Verkaufs, ganz nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel. Jurst scheint damit — unterstützt durch seinen Internetauftritt, der ebenfalls einen guten Teil des Umsatzes ausmacht — recht gut zu wirtschaften. Er empfiehlt sich seinen Kunden vor allem durch Kundendienst und Gemütlichkeit.

Jursts Antiquariat als solches ist für sich genommen durchaus empfehlenswert. Alle Bücher können im Internet recherchiert werden, dem opulenten Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher (www.zvab.de) wird sich Jurst schon im April anschließen. Auf seiner Internetseite kann schon jetzt nach den Schlagwörtern Erstausgaben, Unterschrift, Biographie und Kinderbuch gesucht werden. Zusätzlich werden neue Bücher aus einem befreundeten Wiener Verlag angeboten — in dessen Programm tauchen Autoren wie Robert Menasse, Konrad P. Liessmann, Rudolf Burger, Lucas Cejpek, Herbert J. Wimmer und Antonio Fian auf. Passend zu den Büchern aus vergangener Zeit bietet Jurst auch Literatur und Kabarett unserer Zeit auf CDs an, hauptsächlich Produktionen der ortsansässigen Firma Preiser Records. Die Firma Preiser hat sich mit Originalaufnahmen von österreichischen Künstlern einen Namen gemacht: Karl Kraus, Carl Zuckmayer, Friedrich Torberg, Armin Berg, Franz Engel, Karl Farkas, Helmut Qualtinger, Georg Kreisler, Fritz Kortner, Tilla Durieux, Albin Skoda und viele andere gibt es im O-Ton zu erleben. Das gesamte Wien-Programm der kleinen Firma hält Jurst ständig vorrätig.

Das Geschäft ist 250 m² groß und beherbergt derzeit etwa viertausend antiquarische Bücher zu den Themen Literatur, Philosophie, Judaica und Geschichte. Der Inhaber ist spezialisiert auf Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, 30 % der Bücher sind Erstausgaben, die anderen kosten jeweils weniger als 250,– öS. Außerdem wird ein Büchersuchdienst für bestimmte Bücher angeboten. "In der Frage des Nachschubs von guten Büchern beschreite ich unübliche Wege, indem ich Autoren, Journalisten, Prominente usw. anschreibe, die den Großteil ihrer Bücher geschenkt bekommen und loswerden wollen", meint der Buchhändler. "dadurch werde ich auch bei meinen Kunden bekannter und finde überdies wichtige Ansprechpartner für Lesungen und Diskussionen." In der Tat dürfte das eine perspektivenreiche Bücherquelle sein, da die Pressestellen von Verlagen zuweilen überaus offensiv im Verteilen von Presseexemplaren an Journalisten vorgehen. Wohin also mit den vielen Büchern? Zu Richard Jurst, der damit sein junges Antiquariat um die eine oder andere Attraktion bereichern kann.

Wer das alte Geschäft in der Judengasse mit seinen vierzig Quadratmetern noch in Erinnerung hat, notiert beim Betreten des neuen Antiquariats sofort die viel großzügigeren räumlichen Verhältnisse. Alles ist viel weiträumiger, offener und heller. Das Licht setzt die Bücherregale geschmackvoll in Szene. In diesem Platz liegt auch der Grund dafür, daß sich der Schwerpunkt auf die Veranstaltungen verlagert hat, denn wie sollte ein Buchbestand von viertausend Bänden so ein großes Geschäft finanzieren können? Vermutlich wird die Menge der Bücher schon aus diesem Grund in den nächsten Jahren spürbar anwachsen. Allerdings ist der Buchhandel ja nicht alles. Der Laden wird auch für branchenfremde Veranstaltungen (etwa für ein Journalistengespräch einer Wiener Partei oder für die Feier der Österreichisch-Kubanischen Gesellschaft) angemietet und bietet für etwa dreihundert Personen Platz. Pressekonferenzen im modernen Ambiente eines Wein-Antiquariats wären wirklich neuartig, zumal sie derzeit fast immer an denselben Orten stattfinden. Für Präsentationen, Kulturveranstaltungen, Vorführungen, möglicherweise auch für künstlerische und musikalische Darbietungen eignet sich der Raum uneingeschränkt. Auch als Ausstellungsraum für Künstler wird das Antiquariat benutzt; eine metergroße Dialeinwand ist ebenfalls vorhanden — vielleicht eine Alternative für diejenigen, die sich bisher zum Zwecke ihrer Reise-Diaschauen das Audimax der Wiener Universität teilen müssen. Die Malerin Irene Zaharoff hat einen Teil der Buchhandlung als Untermieterin zu ihrem Atelier gemacht und stellt ihre abstrakten Bilder im Antiquariat aus.

Insgesamt handelt es sich also weder um eine Buchhandlung noch um eine Weinschänke im eigentlichen Sinn. Es ist ein großes und vielschichtiges Kulturprojekt, ein Erlebnisraum für Begegnungen, Gedanken und Augenblicke. Es könnte ein Treffpunkt für diejenigen werden, die bereit sind, das Mobiltelephon auszuschalten; die auch in einer schnellebigen Zeit Augenblicke des Innehaltens suchen; die sich auf die Vertiefung in ein Buch noch einlassen wollen. Es ist eine der Bestätigungen dafür, daß Literatur wirklich etwas mit Entspannung zu tun hat.

 

Im Laden präsentirt man dem Käufer einen Stuhl, ein Glas Wein, eine Tasse Chokolade, oder andere Erfrischungen.

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Die Musiksequenz wird mit Erlaubnis der Classical Piano Midi Page verwendet. Das Urheberrecht liegt bei Bernd Krüger.

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