Die gegenwärtige Vergangenheit

Von Alexander Glück

 

Ohne daß es bewußt bestimmt war, sprechen verschiedene Bilder eine ähnliche Sprache. Teilweise liegt das an den Gegebenheiten des Motivs oder der Aufnahmetechnik, doch gleichzeitig ist es von den Gewohnheiten und der Blickweise dessen geprägt, der photographiert. Daher lassen sich immer wieder Bilder einander zuordnen, die zwar verschiedenes zeigen, oft aber das gleiche meinen.

In den oberen Bildern zeigt sich die Geometrie des Hauseingangs. Links ist ein Getränkelädchen in einer alten Kleinstadt zu sehen. Der Händler steht nicht immer hinter seinem Tresen, sondern schlurft manchmal in seinem Haus oder irgendwo im Ort umher. Eine nahezu symmetrische Entsprechung ist das rechte Bild, gegenteilig vor allem insofern, daß der Bewohner nicht unterwegs ist, denn das Fahrrad steht vor der Tür bereit. In diesem Bildpaar wird die Beziehung zwischen An- und Abwesenheit bereits sichtbar. Es sind Gegensätzlichkeiten, die einander bedingen wie Licht und Schatten.

Nähe und Ferne werden auf allen vier Bildern in verschiedener Weise spürbar. Räumlich, weil Perspektiven zu sehen sind, die sich auf die Subjektivität des Standpunkts oder auf das im Haus oder außer Haus beziehen. Zeitlich, weil die Aufnahmen zu einer Zeit entstanden, die naturgemäß schon vorübergegangen ist, die jedoch etwas zeitloses hervorgebracht hat, das sich zu jeder Zeit wiederholen kann. Indem die Vergangenheit hier und jetzt betrachtet werden kann, wird die zeitliche Ferne in die Nähe des Betrachters gerückt. Und schließlich emotional, weil die Bezüge ins Gegenteil verkehrt werden können. So wird unten links der Blick des Betrachters nicht auf einen strahlenden Altar gezogen, sondern aus der dunklen Kirche hinaus ins Licht.

Dies wird durch die Geometrie der Bilder unterstützt. Während das Auge beim Betrachten der unteren Bilder zum Fluchtpunkt hingezogen wird, blickt die Frau unten rechts am Betrachter vorbei, kommt jedoch auf ihn zu, genau wie die Kirchenbänke und das einfallende Licht zum Standpunkt des Betrachters hinstreben — und ebenfalls an ihm vorbei. Im gleichen Maße, wie der perspektivische Blick sich zum Fluchtpunkt hin orientiert, strömt ihm alles, was er sieht, von diesem Punkt aus entgegen und verfehlt ihn fast immer — in vielen Fällen nur knapp.

Diese Bilder hätten auch zu anderen Zeiten so entstehen können, denn dieser gegenseitige Bezug ist zeitlos. Setzt man den Fluchtpunkt mit der Vergangenheit gleich, so blickt der Betrachter in diese Vergangenheit zurück, während ihm von dort aus Erinnerungen entgegenkommen. Das Wechselspiel aus der Vergangenheit im Bild und der Gegenwart des Bildes ist die zeitlich-abstrakte Entsprechung der einfachen Handlung unten rechts: Die Frau geht am Betrachter vorbei, so wie sein Blick an ihr. Nach einer Viertelstunde des Wartens hatte der perspektivische Blick in der ihm entgegengehenden Frau seine Auflösung gefunden. Eine Begegnung wurde es nicht, und dennoch flog ihr Abbild durch das Objektiv auf den Film. Es ist Symbol und Schlüssel dafür, daß es vom Standpunkt und der Perspektive des Betrachters abhängt, wer und was auf ihn zukommt.

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